Interview mit Familienforscher
Tuchhändler, Kirchenvorstände und Lateinschüler – was man über die Röntgens heute weiß
Welche familiären Wurzeln hat Wilhelm Conrad Röntgen? Um diese Frage zu beantworten, hat die Geburtshaus Wilhelm Conrad Röntgen Stiftung den Historiker Jörg Holtschneider und seine Agentur Via Temporis beauftragt, sich auf Spurensuche zu begeben.
Wie weit lassen sich die Röntgens verfolgen?
Holtschneider: Das älteste Familienmitglied, das sich fassen lässt, ist ein gewisser „Engel“ - vermutlich eine Abkürzung für Engelbert „Röngen“, noch ohne das „t“ im Namen. Dieser Engel ist wahrscheinlich zwischen 1650 und 1660 in Dabringhausen geboren, einer kleinen Ortschaft, die heute zu Wermelskirchen gehört und südlich von Remscheid liegt. Das große Problem der hiesigen Forschung ist, dass die Hauptquellen, die Kirchenbücher, oftmals verloren gegangen sind. Durch Brandereignisse, durch Diebstahl, durch Kriegsverluste. Nach Lennep, das ja bis 1929 eine eigenständige Gemeinde war, wanderten die Röntgens 1721 ein.
…damit stammt die Familie aus Dabringhausen?
Das ist relativ sicher. Diese Namen mit ihren Varianten wiesen – laut vorhandenen Kirchenbüchern – eine sehr hohe Konzentration in Dabringhausen und Umgebung auf.
Der Name Röntgen ist dank seines berühmten Trägers heute in aller Munde. Was bedeutet der Namen „Röntgen“?
Es gibt zwei Interpretationen: Zum einen existiert neben der Dabringhausener Linie ein weiterer Familienzweig in der Eifel, und dort gibt es mundartlich den Ausdruck „ron“ für „Ast“. Mit „gen“ als Verkleinerungsform würde der Name „Ästchen“ bedeuten. Im übertragenen Sinn nennt man in der Mundart „ron“ auch einen großen kräftigen Mann und „rönnche(n)“ einen kleinen und schmächtigen Mann. Ein zweiter Ansatz führt den Namen auf den germanischen Eigennamen „Runold“ oder „Runuald“ zurück. Der Name bedeutet dann „geheime Weisheit“, da steckt der heute bekannte Ausdruck für das germanische Schriftzeichen, die Rune, drin.
Welche Berufe lassen sich in der Familie nachweisen?
Röntgen entstammt einer Familie mit einem gewissen Bildungshintergrund. Ein Bruder seines Urgroßvaters ist nach Niederländisch-Indien ausgewandert und hat in der Niederländisch-Ostindischen Compagnie als Sekretariatsschreiber gearbeitet. Auf der Mutterseite gibt es Wundärzte. Die Röntgens sind auch oftmals kirchlich engagiert als lutherische Kirchenvorstände. In der Remscheider Lateinschule, in die noch vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht die Kinder der wohlhabenderen Schichten hingingen, tauchen die Röntgens mehrfach auf. Relativ früh, schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts zum Beispiel ein Johann Mathias Röntgen, der Ururgroßvater Wilhelm Conrads.
Immer wieder ist von der Händlerfamilie Röntgen die Rede…
Die Röntgens haben sich geschäftlich im Bereich von Tuchhandel und Tuchfabrikation bewegt, die Namen finden sich gelegentlich in den entsprechenden Berufslisten. Der Einzelnachweis über diese Art der beruflichen Tätigkeit ist aber oft gar nicht so einfach und eindeutig. Sein Großvater läuft unter Tuchhändler/Kaufmann, sein Vater Fabrikant. Es taucht aber auch die Berufsbezeichnung Kupferschläger für Familienangehörige auf. Die Röntgens waren verschwägert mit wichtigen Lenneper Tuchmacherfamilien. Aber ob sie zu den wohlhabenden Tuchhändlern der Stadt gehört haben, ist fraglich. Auch wenn man sich die Tuchhändlerhäuser der Stadt anschaut: Das Röntgengeburtshaus ist ein eher kleines Haus, vergleicht man es etwa mit dem Haus, in dem heute das Röntgenmuseum beheimatet ist und das einer Tuchhändlerfamilie gehört hat. Es ist auch unwahrscheinlich, dass die Familie eine eigene Manufaktur besaß.
Warum ist die Familie nach Apeldoorn in Holland ausgewandert?
Ein Grund ist die Revolution von 1848/49, die hier in der Gegend sehr ausgeprägt gewütet hat. Revolutionen und Unruhen sind für Händler immer schlecht. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt ein großer Teil der weiteren Familie gestorben oder ausgewandert. In Holland lebte die Familie der Frau, Wilhelm Conrads Mutter also, und hier waren die Bedingungen für den Handel besser. Die Entscheidung auszuwandern war wohl richtig, denn in Apeldoorn ging es den Röntgens gut, die Familie hat ein Haus gekauft, den Grundstein aus dem Jahr 1850 gibt es noch heute.
Vielen Dank für das Gespräch!